Der Aufbau einer Marke erfordert, neben der Herstellung eines einheitlichen Markenerlebnisses, dass dieses Markenerlebnis innerhalb kurzer Zeit an möglichst vielen Standorten verfügbar gemacht wird. Das Franchisesystem muss also schnell expandieren.
Das ist keine bahnbrechende Erkenntnis. Vor diesem Hintergrund ist es naheliegend, das Franchisesystem von vornherein so zu konzipieren, dass jeder Franchisenehmer mehrere Systembetriebe eröffnen muss und auf diese Weise einen regionalen Filialcluster aufbaut. Diese Methode der Expansion, auch als „Markenfranchise“ bezeichnet, bildet die Grundlage sehr vieler erfolgreicher Franchisesysteme. Es ist offenkundig in jeder Hinsicht sinnvoll, mit beispielsweise 50 Franchisenehmern 300 Systembetriebe zu organisieren, als die gleiche Zahl von Standorten mit 300 Franchisenehmern. Nur wer schon immer davon geträumt hat, Direktor eines Flohzirkus zu sein, kann nachhaltig Freude an 300 einzelnen Franchisenehmern für 300 einzelne Standorte haben. Bevor wir auf die Anforderungen der erfolgreichen Filialclusterexpansion zu sprechen kommen, ist folgende Anmerkung geboten: Es versteht sich von selbst, dass nicht jedes Geschäftskonzept für diese Form geeignet ist. Mindestvoraussetzung ist, dass mit den Systembetrieben durchschnittlich auch nach dem Abzug des Unternehmerlohns so viel Gewinn erzielt wird, dass eine angemessene Kapitalverzinsung erzielt werden kann. Denn den Unternehmerlohn muss der Franchisenehmer als Gehalt für den Betriebsleiter eingeplant haben. Damit scheiden die „Ich kauf mir einen Filialleiterjob“ Franchisekonzepte von vornherein für eine Filialclusterexpansion aus. Allerdings können auch diese Systeme eine weitere regionale Expansion durch die vorhandenen Franchisenehmer in Betracht ziehen, beispielsweise durch Handelsvertreter, die der Franchisenehmer einsetzen muss, um definierte Vermarktungsziele zu erreichen.
Es sprengt den Rahmen dieses Buches, sämtliche Aspekte der Expansion mit Filialclustern darzustellen (vgl. Schaffung eines einheitlichen Markenerlebnisses). In unserem Zusammenhang ist lediglich Folgendes bedeutsam: Eine Expansionsmöglichkeit mit Filialclustern zieht einen anderen Typus von Franchisenehmern an. Diese Franchisesysteme sind nämlich für echte Unternehmer interessant. Echte Unternehmer möchten in der Regel nicht jahrelang als „Verkäufer“ in einem Unternehmen arbeiten, sondern – wie es sich für Unternehmer gehört – an dem Unternehmen. Echte Unternehmer investieren ihr Kapital, um eine Kapitalverzinsung zu erzielen und haben bei Eintritt ihrer Zinserwartungen keinen Grund, in unsachlicher Form gegen den Franchisegeber vorzugehen. Viele der negativen Begleiterscheinungen des Aufbaus mit unprofessionellen Franchisenehmern – Konflikte aus reinem Geltungsdrang, Persönlichkeitsstörungen und Gruppenbildungen – entfallen weitgehend. Es ist kein Zufall, dass gerade die erfolgreichen Systeme mehr oder weniger auf diese Methode setzen. Eine Expansion mit Filialclustern setzt eine andere Herangehensweise an Gebietsschutz voraus, die sogleich erläutert werden soll.
Unabhängig davon, ob man auf die Expansion mit Filialclustern setzt, sollte das Prinzip des Gebietsschutzes von der Franchisewirtschaft grundlegend überarbeitet werden. Denn wenn es in einem bestimmten Gebiet das Potenzial für mehr als einen Systembetrieb gibt (wenn das nicht so wäre, bedürfte es ohnehin keines Gebietsschutzes), liegt die Einräumung von Gebietsschutz weder im Interesse des Franchisegebers noch im Interesse des Franchisenehmers. Gebietsschutz wird dann nämlich bedeuten, dass das theoretisch gegebene Potenzial für weitere Systembetriebe nicht genutzt wird – sehr zur Freude der Wettbewerber, die diese Marktpositionen besetzen werden. Damit ist in dem Franchisesystem niemand gedient. Das zeigt, dass Gebietsschutz stets nur eine Illusion gewesen ist: Wenn das Franchisesystem die möglichen Marktpositionen nicht besetzt, werden Wettbewerber dies tun – und vor den Wettbewerbern ist der Franchisenehmer nicht geschützt. Der beste Schutz besteht deshalb darin, möglichst sämtliche Marktpositionen zu besetzen. Deshalb muss es das gemeinsame Ziel der Systempartner sein, das gesamte vorhandene Marktpotenzial mit Systembetrieben auszuschöpfen. Die Expansion mit Filialclustern macht sich diese Erkenntnis zunutze: Wenn man auf diese Weise expandiert, ist es sinnvoll, den Franchisenehmern lediglich einen Gebietsentwicklungsschutz zu geben. Gebietsentwicklungsschutz bedeutet, dass das Vertragsgebiet nur so lange für den Franchisenehmer geschützt ist, wie er die anfänglich definierten Ziele zur Eröffnung weiterer Filialen erreicht. Wenn der Franchisenehmer die Ziele verfehlt, entfällt der Gebietsentwicklungsschutz und der Franchisenehmer führt die bis dahin aufgebauten Systembetriebe auf der Grundlage der abgeschlossenen Franchiseverträge weiter; die restlichen Standorte werden von dem Franchisegeber mit einem anderen Franchisenehmer oder mit Eigenbetrieben verwirklicht. Die Konstruktion „Filialcluster mit Gebietsentwicklungsschutz“ setzt eine andere Herangehensweise an die Vertragswerke voraus; neben den Franchiseverträgen, die pro Systembetrieb abgeschlossen werden, muss der Franchisenehmer einen Gebietsentwicklungsvertrag unterzeichnen. Auch hier gilt wieder: Es ist kein Zufall, dass gerade die erfolgreichen Systeme mehr oder weniger auf diese Methode setzen.
Wer so expandiert, löst mehrere Probleme: Der Engpass, nicht genügend Unternehmer für eine Position als Franchisenehmer begeistern zu können, kann teilweise umgangen werden. Statt der unlösbaren Aufgabe, 300 Franchisenehmer in fünf Jahren zu suchen, lässt sich die Aufgabe, 50 bis 60 Unternehmer für das System zu gewinnen, die je vier bis sechs Betriebe eröffnen, schon eher in fünf Jahren realisieren. Weil die Methode „Filialcluster mit Gebietsentwicklungsschutz“ echte Unternehmer anzieht, lassen sich bessere Franchisenehmer finden, die aufgrund ihrer unternehmerischen Fähigkeiten eine größere Chance auf Erfolg haben. Weil sich dadurch der Erfolg zuverlässiger und häufiger einstellt, werden die Konflikte abnehmen, was wiederum die Expansionsgeschwindigkeit erhöht. Zugleich wird den Franchisenehmern die Möglichkeit zu einer unternehmerischen Karriere im System ermöglicht, was seinerseits das Konfliktpotenzial senkt und wiederum eine magnetische Wirkung auf die nächsten echten Unternehmer ausübt. Hierbei handelt es sich um eine positive Rückkopplung, die verstärkende Wirkungen auch auf Finanzierung, Markenaufbau und Markenbekanntheit hat. Echte Unternehmer, die im System expandieren können, werden auch eher von den Sparkassen und Banken finanziert. Und einmal ehrlich: Würden Sie für ein Jahrzehnt oder gar für den Rest Ihres Berufslebens damit zufrieden sein, in einem Ladengeschäft Ware zu verkaufen? Warum nicht? Weil Sie als Franchisegeber ein Unternehmer (sic!) sind und es nun einmal zur Persönlichkeit eines Unternehmers gehört, expandieren zu wollen. Deshalb gilt: Wenn Sie andere Unternehmer dafür begeistern wollen, Franchisenehmer zu werden, müssen sie diesen Unternehmern die Chance auf Expansion geben. Andernfalls werden die guten Franchisenehmer irgendwann mangels Alternative dazu übergehen, ihr Kapital außerhalb des Systems zu investieren – welch eine Vergeudung von Ressourcen. Die erfolgreichen Franchisenehmer sollten ihren Gewinn doch sinnvollerweise wieder in das Franchisesystem – nämlich in einen weiteren Systembetriebe – investieren.
Allein durch diese Änderung der Herangehensweise bekommt das Franchisesystem eine Schubkraft, die vorher undenkbar erschien: Die Gewinnung qualifizierterer Franchisenehmer, die einfacher finanziert werden können, führt zu einer schnelleren Expansion. Diese schnellere Expansion führt, wenn Sie das Franchisesystem zu Markenaufbau nutzen und nicht „nur“ den Vertrieb organisieren wollen, zu einer rasch zunehmenden Markenbekanntheit, was weitere qualifiziertere Franchisenehmer anzieht und einen erneuten Wachstumsschub bewirkt. Die wachsende Markenbekanntheit erhöht innerhalb der wenigen Jahre, die man jetzt nur noch für den erfolgreichen Systemaufbau benötigen, die Bindungswirkung für die Franchisenehmer. Auf einmal ist es attraktiv, Franchisenehmer in Ihrem System zu sein und zu bleiben, was die Wahrscheinlichkeit von Konflikten erneut absenkt. Dieses selbstverstärkende Prinzip können Sie zusätzlich befeuern, wenn sie vertraglich einen „systeminternen Markt“ für Kauf und Verkauf von Systembetrieben etablieren, um den weniger erfolgreichen Franchisenehmern einen geordneten Ausstieg zu ermöglichen; zugleich sind erfolgreiche Filialcluster-Franchisenehmer eher an dem Kauf eines Systembetriebes interessiert und überhaupt in der Lage, weitere Filialen hinzuzunehmen. Das alles setzt allerdings andere vertragliche Vorkehrungen voraus. Davon soll unten noch ausführlich die Rede sein.
Bei alledem ist zu bedenken, dass die Führung mehrerer Filialen mit jeweils einem angestellten Filialleiter von einem Franchisenehmer andere Fertigkeiten verlangt als eine eigene Tätigkeit als Verkäufer. Hier liegt bei vielen Franchisesystemen ein Problem: Viele Franchisegeber führen selbst kein Filialsystem und dementsprechend fehlt ihnen das Wissen, wie man einen Filialcluster aufbaut und führt. Deshalb ist es nicht überraschend, dass manche Franchisegeber die „Mächtigkeit“ von Filialcluster-Franchisenehmern mit Sorge sehen – und das womöglich zu Recht: Denn wer als Franchisegeber selbst nicht zum Filialmanagement in der Lage ist, muss das überlegene Wissen seiner Franchisenehmer auf diesem Sektor tatsächlich mit Sorge sehen. Ein Franchisegeber muss Wissenführerschaft anstreben: Die Franchisenehmer sollten aufgrund der exakten Umsetzung des Konzepts Erfolg haben und nicht eigene Wege zu einem Zufallserfolg suchen müssen (vgl. den Aspekt „Erfolg trotz des Konzepts“ weiter oben). Andernfalls ist die Autorität des Franchisegebers gefährdet. Dann ist es auch kein Wunder, dass die Banken die Finanzierung weiterer Filialen eines Franchisenehmers mit Skepsis sehen. Denn wenn der Franchisenehmer nicht im Filialmanagement trainiert wurde, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass er mit der zweiten Filiale überfordert ist, daran scheitert und dass dieses Scheitern auch seinen ersten Systembetrieb in Mitleidenschaft zieht. Der Franchisegeber benötigt also ein schlüssiges Konzept für Filialmanagement und dieses Konzept muss ein Bestandteil des Trainings sein.