Aktuelles aus der Franchisewelt

Handelsvertreter und Franchisenehmer: Wer zahlt für die Corporate Identity?

Seit einiger Zeit gibt es in der juristischen Fachliteratur und teilweise dieser folgend in der Rechtsprechung die Ansicht, bei einem Handelsvertretervertrag bestehe die gesetzliche Pflicht des Unternehmers, dem Handelsvertreter alles Mögliche kostenfrei zur Verfügung stellen zu müssen. Es geht sogar so weit, eine Übertragung dieser Sichtweise auch auf Franchiseverhältnisse für möglich zu halten.

1. Einleitung

Das Handelsgesetzbuch (HGB) regelt detailliert das Handelsvertreterrecht – anders als etwa das Franchising. § 86a HGB enthält Regelungen der Nebenpflichten des Unternehmers gegenüber dem Handelsvertreter. Absatz 1 beinhaltet die Pflicht des Unternehmers, dem Handelsvertreter die zur Ausübung seiner Tätigkeit „erforderlichen Unterlagen, wie Muster, Zeichnungen, Preislisten, Werbedrucksachen, Geschäftsbedingungen“, zur Verfügung zu stellen.

Einig sind sich Literatur und Rechtsprechung, dass der Wortlaut des § 86a Abs. 1 HGB dabei nicht als abschließend zu verstehen ist. Der Begriff der Unterlagen ist nach allgemeiner Auffassung weit zu verstehen, denn die im Gesetz vorgenommene Aufzählung von Mustern, Zeichnungen, Preislisten, Werbedrucksachen und Geschäftsbedingungen ist ausdrücklich beispielhaft und nicht abschließend.  Dies lässt sich am Wortlaut durch die Verwendung des Wortes „wie“ erkennen.

Wie weit der Begriff der „erforderlichen“ Unterlagen dann aber tatsächlich zu verstehen ist, ist umstritten.

2. Maßgebliche Entscheidungen des Bundesgerichtshofs zu § 86a Abs. 1 HGB

Der Bundesgerichtshof hat in zwei Entscheidungen zu diesem Thema Stellung bezogen: eine restriktive Auslegung sei erforderlich. Die Unterlagen müssen für die spezifische Anpreisung der Ware unerlässlich sein, um als kostenfrei bereitzustellende „erforderliche“ Unterlage zu gelten. Der Wortlaut und die in der Vorschrift aufgeführten Beispiele sprächen für diese Sichtweise. Zudem zeige § 87d HGB die grundsätzliche Haltung, dass der Handelsvertreter die in seinem regelmäßigen Geschäftsbetrieb entstehenden Aufwendungen selbst zu trage haben.

Dem folgend kam der Bundesgerichtshof (Urteil vom 04.05.2011 – VIII ZR 10/10) zur Einschätzung, dass weder die der Büroausstattung des Handelsvertreters zuzuordnenden Unterlagen wie Briefpapier, Visitenkarten und Erhebungsbögen, auch wenn diese Artikel mit dem Logo der Beklagten versehen seien, noch Werbegeschenke („sog. „Give-Aways“) als produktspezifische Hilfsmittel anzusehen seien. Die für die Tätigkeit des Handelsvertreter unverzichtbare Vertriebssoftware des Unternehmers habe dieser dem Handelsvertreter hingegen gemäß § § 86a Abs. 1 HGB kostenlos zur Verfügung zu stellen.

In einer weiteren Entscheidung präzisierte der Bundesgerichtshof (Urteil vom 17.11.2016 – VII ZR 6/16) seine Einschätzung dahingehend, dass es sich bei den unter Benutzung eines Kassensystems per Datenfernübertragung übermittelten Preisdaten betreffend von Kraftstoff als Agenturwaren um zur Ausübung der Tätigkeit des Handelsvertreters erforderliche Unterlagen iSv § 86a Abs. 1 HGB handele. Denn der Handelsvertreter sei für die Vermittlung und den Abschluss der den Gegenstand des Handelsvertreterverhältnisses bildenden Kraftstoffkaufverträge, auf eine Übermittlung der Preise seitens des Unternehmers und auf diesbezügliche Unterlagen angewiesen. Ohne die (zeitnahe) Übermittlung der jeweils aktuellen Preise und ohne diesbezügliche Unterlagen könne der Handelsvertreter seine Vermittlungs- und Abschlusstätigkeit bezüglich des Verkaufs von Agenturwaren, insbesondere Kraftstoffen, nicht vertragsgemäß ausüben. Jedenfalls die Teilfunktion des Kassensystems betreffend die Übermittlung der Preise sei vom Unternehmer kostenfrei zur Verfügung zu stellen.

3. Was sind also „erforderliche Unterlagen“?

In der Literatur gibt es Stimmen, wonach die Auslegung des § 86a Abs. 1 HGB allein anhand des konkreten Vertrags durchzuführen sei: sei der Handelsvertreter vertraglich zur Einhaltung der Corporate Identity verpflichtet, so seien die entsprechenden Hilfsmittel somit „erforderlich“ für seine Tätigkeit. Ohnehin sei eine allgemeine handelsvertreterfreundliche Auslegung zu beachten. Der Bundesgerichthof sei so zu verstehen, dass alles, was aus der Sphäre des Unternehmers stamme, auch von diesem kostenfrei zur Verfügung gestellt werden müsse.

Aus der Rechtsprechung des Bundesgerichthofs ergibt sich jedoch zutreffend, dass alles, was über die bloße, für die Vertriebstätigkeit des Handelsvertreters absolut zwingende, schlechterdings nicht zu ersetzende und vom Unternehmer bereitzustellende Vertragsgrundlagen hinausgeht, nicht kostenfrei vom Unternehmer zur Verfügung gestellt werden muss.

Nicht kostenfrei zur Verfügung gestellt werden muss demnach nach hiesiger Auffassung Folgendes:

  • die Büroausstattung des Handelsvertreters, samt dieser zuzuordnenden Unterlagen wie Briefpapier, Visitenkarten und Erhebungsbögen, auch wenn diese mit dem Logo des Unternehmers versehen sind;
  • Kundengeschenke (sog. „Give-Aways“), hierzu zählt z.B. auch eine Kundenzeitschrift des Unternehmers, die lediglich der Kundenpflege dient; 
  • Telekommunikation, wie ISDN- und Datenleitung, auch wenn hierüber die Preisfestsetzungsdaten übermittelt werden, da diese der Büroausstattung des Handelsvertreters zuzuordnen ist;
  • Software bzw. Hardware, soweit diese nicht vertriebsspezifisch und nicht für die Vertriebstätigkeit des Handelsvertreters unerlässlich sind;
  • Gegenstände zur Umsetzung einer vom Unternehmer vorgegebenen Corporate Identity, wie T-Shirts, Aufsteller, Beschilderung etc., denn diese sind für die Vertriebstätigkeit des Handelsvertreter nicht unerlässlich, sondern dienen der Erfüllung einer zusätzlich vereinbarten vertraglichen Verpflichtung des Handelsvertreters;
  • bestehende Geschäftskorrespondenz mit Interessenten und Kunden, die für den Handelsvertreter hilfreich sein kann bzw. Kundenlisten; 
  • Unterlagen, die der Pflicht des Handelsvertreter zur allgemeinen – d.h. nicht speziell vertriebs- oder produktbezogen Schulung von ihm unterstellten Handelsvertreter dienen;
  • Kartenleser für Kreditkarten sowie Kreditkartengebühren, da dies die Zahlungsabwicklung betrifft;
  • Warenvorrat;
  • Schulungen und Fortbildungen, insbesondere solche Schulungen, die lediglich allgemeine Vertriebsinformationen zum Gegenstand haben.

4. Übertragung auf das Franchising?

Noch deutlicher als bereits beim Handelsvertreter ist die selbstständige Stellung bei Vertragshändlern und Franchisenehmern. Diese profitieren durch den Franchise- bzw. Vertragshändlervertrag gerade von der Nutzung einer bestehenden Marke für ihr Eigenhändlergeschäft und zahlen hierfür die jeweilige Gebühr. In der Literatur wird oftmals ziemlich plakativ festgestellt, auf Vertriebsmittler mit einer dem Handelsvertreter ähnlichen Rechtsstellung, welche wie dieser auf Unterstützung und Loyalität des Unternehmers angewiesen seien, finde § 86a HGB entsprechende Anwendung, so auf Vertragshändler, Kommissionsagenten oder Franchisenehmer.

Allerdings wird bei der Bejahung der Vorschrift die grundsätzlich andere Stellung des Franchisenehmers im Vergleich zum Handelsvertreter außer Acht gelassen: Beim Franchising handelt es sich bei den für die Umsetzung des Systemkonzepts notwendigen Informationen nicht nur um eine systemimmanente Nebenpflicht, sondern um eine synallagmatische Hauptleistungspflicht des Franchisegebers. Die Informationsleistungs- und Unterstützungspflichten des Franchisegebers stellen somit ein unmittelbares Äquivalent für die Verpflichtung zur Zahlung von Franchisegebühren dar.  Es wird schlicht unter den Tisch fallen gelassen, dass § 86a Abs. 1 HGB von einer Kostenfreiheit der Unterlagen ausgeht. Es lässt sich folglich konstatieren: Dasjenige, was der Unternehmer sowieso nach dem Gesetz als Nebenpflicht schuldet, könnte schon nicht zum Gegenstand der (vergütungspflichtigen) Hauptleistung erhoben werden.

Eine Pflicht zur kostenlosen Zurverfügungstellung von zur „Ausübung seiner Tätigkeit erforderlichen Unterlagen“ widerspräche dem Grundgedanken des Franchisings. Bejahte man eine solche Pflicht, müsste denklogisch auch die Eigenständigkeit des Franchisevertrags insgesamt verneint werden. Denn entgegen dem geltenden Grundsatz der Vertragsautonomie wäre es dem Franchisegeber in der Konsequenz nämlich dann verwehrt, ein von ihm entwickeltes Geschäftskonzept kostenpflichtig zur Nutzung durch Franchisenehmer anzubieten.

5. Fazit

Anhand der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Reichweite des § 86a Abs. 1 HGB lassen sich praxistaugliche und der rechtlichen Stellung eines Handelsvertreters angemessene Ergebnisse bei der Frage nach den „erforderlichen Unterlagen“ finden. Die Ansichten in der Literatur und ihr folgend in Teilen der Rechtsprechung, die von einer deutlichen Ausweitung der Pflicht zur kostenfreien Bereitstellung ausgehen, berücksichtigen die Stellung des selbstständigen Handelsvertreters und den systematischen Zusammenhang zwischen § 86a Abs. 1 HGB einerseits und § 87a HGB andererseits hingegen nicht hinreichend und sind abzulehnen.

Schon aufgrund der abweichenden Rechtsstellung und den abweichenden vertraglichen Pflichten der Vertragsparteien scheidet eine Übertragbarkeit auf andere Vertragstypen wie Franchising aus. 

(Es handelt sich bei diesem Beitrag um eine gekürzte und vereinfachte Fassung des Artikels „Die Grenzen des § 86a Abs. 1 HGB“ von Dr. Grischa Kehr und Dr. Nils Willich, welcher in der ZVertriebsR 2022, Seite 159 ff. erschienen ist.)