Die Erfolgsgeheimnisse der großen Franchisesysteme

Marktforschung, Produktentwicklung, Supply Chain Management

Wenn man die bereits dargestellten Rückkoppelungswirkungen betrachtet, scheint alles zu allem in einer Beziehung und Wechselwirkung zu stehen. Zumindest für die Kette zwischen der Beschaffung der Rohstoffe auf der marktabgewandten Seite (Supply Chain Management), über die Entwicklung und Herstellung der Produkte bis zur Vermarktung und Markenbildung auf der marktzugewandten Seite, trifft dies tatsächlich zu: Wenn der Franchisegeber diese Aufgaben vernachlässigt, wird das System letztlich scheitern. Dabei ist es bemerkenswert, dass den Aufgaben „Marktforschung“ und „Produktentwicklung“ in den Organigrammen vieler Systemzentralen keine bzw. keine angemessene Beachtung geschenkt wird. Das hat wiederum teilweise damit zu tun, dass viele Franchisegeber die Franchisenehmer als ihre „Kunden“ missverstehen, anstelle sie als Mittel zur Kommunikation gegenüber den tatsächlichen Kunden anzusehen.

Oben ist bereits dargestellt worden, dass vor allem finanzschwache Franchisegeber die dringend gebotenen Aufgaben der Marktforschung, der Produkt- und Systementwicklung, des Controllings und des Supply Chain Managements vernachlässigen. Diese Franchisegeber werden an Glaubwürdigkeit verlieren und ihr Wissensvorsprung wird schrumpfen. Diese Versäumnisse werden wiederum zur Folge haben, dass dem Franchisegeber der Aufbau einer starken Marke nicht gelingt – denn wie soll eine einheitliche Aufladung ohne Sicherstellung eines einheitlichen Markenerlebnis möglich sein? – und damit dauerhaft die Bindungswirkung ausbleibt. Dies ist der Beginn einer weiteren fatalen Rückkoppelung: Fehlende Produkt- und Systementwicklung, fehlende Steuerung und Richtliniendurchsetzung, mangelnde Wissensführerschaft und eine deshalb zur Unbekanntheit verdammte Marke werden das Aufbegehren „aus der Not heraus emanzipierter“ Franchisenehmer begünstigen, was den Franchisegeber zusätzlich schwächt, der sich daraufhin Marktforschung, Produkt- und Systementwicklung, Controlling und ein gutes Supply Chain Management „erst Recht nicht mehr“ leisten kann.

Erfolgreiche Systeme organisieren ihre Marktforschung, indem sie erstens die Franchisenehmer als Informationsbeschaffungsinstrumente nutzen. Das ist relativ einfach und vor allem kostengünstig möglich, indem man von vornherein vereinbart, dass die Franchisenehmer die auf sie entfallenden diesbezüglichen Aufgaben (z. B. Vermarktung von Kundenkarten und Kundenloyalitätsprogrammen, Durchführung von Kundenbefragungen etc.) erledigen müssen. Außerdem müssen beizeiten die dazu gehörigen Geschäftsprozesse im Betriebshandbuch abgebildet werden. Das ist so naheliegend, dass es nicht verständlich ist, weshalb dies in einem Großteil der Franchisesysteme unterbleibt. Zweitens darf sich der Franchisegeber nicht von dem eigentlichen Zielmarkt abkoppeln, also dem Markt, in dem die Produkte vermarktet werden sollen. Dass sich in Franchisegeber diese Abkopplung nicht erlauben kann, ist noch naheliegender. Dennoch gibt es viele Franchisegeber, die nicht über ein eigenes Filialsystem verfügen und dadurch keine authentischen Kenntnisse von den Marktveränderungen erlangen können. Das Fehlen eines eigenen Filialsystems steht in einer vielfältigen Rückkoppelungswirkung zu einer ganzen Reihe weiterer Hindernisse für den Erfolg. Davon war bereits oben ausführlich die Rede: Ein Franchisegeber, der nicht selbst Systembetriebe führt, hat Schwierigkeiten, das Franchisekonzept dort, wo Flexibilität geboten ist, mit Blick auf veränderte Kundenerwartungen anzupassen. Dadurch leiden Wissensführerschaft und Glaubwürdigkeit, was wiederum eine der wesentlichen Ursache für die Nichteinhaltung von Richtlinien ist. Wenn der Franchisegeber selbst nicht weiß, wie man einen Systembetrieb erfolgreich führt und wenn die Richtlinien nicht bewiesen haben, dass sie wichtig für den Erfolg sind, weshalb sollten die Franchisenehmer sie einhalten? Die Nichteinhaltung der Richtlinien durch Franchisenehmer führt dann ihrerseits zur Vielfalt bei dem Markenerlebnis, verhindert die einheitliche Aufladung der Marke und verstärkt den Effekt der sinkenden Glaubwürdigkeit. Das ist erneute eine der negativen Rückkoppelungen, ein Teufelskreis, eine Abwärtsspirale. Darauf wird der sogleich unten noch weiter eingegangen.

Für die Betriebswirtschaftslehre gibt es einen Zusammenhang zwischen Supply Chain Management und Markenimage, weil Produkt und Marke untrennbar miteinander verbunden sind. Hierfür sei ein Beispiel gestattet: Wenn die Marke einer Kaffeehauskette mit den Werten „Nachhaltigkeit“ oder „Fair Trade“ aufgeladen werden soll, muss der Franchisegeber in der Lage sein, die Einhaltung dieser Werte in der Praxis auch tatsächlich zu bewerkstelligen. Er wird die Produzenten der Rohstoffe ununterbrochen kontrollieren oder perspektivisch selbst zum Produzenten der Rohstoffe werden müssen. Eine wachsende Markenbekanntheit führt nämlich früher oder später zu einer Befassung der Öffentlichkeit mit der Übereinstimmung von Kommunikationsinhalt und Wirklichkeit. Die negative Wirkung für die Marke kann verheerend sein, wenn eine geschaffene Erwartung enttäuscht wird. Deshalb muss erforderlichenfalls die Wirklichkeit mit dem Inhalt der Markenaufladung in Einklang gebracht werden. Ebenso wichtig ist es, die Bedürfnisse der Kunden zu erkennen und die Produkte – und damit das Markenimage – an diese Bedürfnisse anzupassen. Das bedeutet nicht, dass eine Marke „wie das Fähnchen im Wind“ jeder neuen Trendrichtung folgen muss. Im Gegenteil. Aber eine Steuerung der Markenpolitik erfordert zumindest eine Kenntnis des Franchisegebers von den Bedürfnissen der Kunden, damit auch die Entscheidung, einem aktuellen Trend nicht zu folgen, unter Abwägung aller Aspekte unternehmerisch bewusst getroffen wird und nicht das Zufallsergebnis der fehlenden Kompetenz ist.

Es ist naheliegend anzunehmen, dass diese kaufmännischen Notwendigkeiten auch eine rechtliche Dimension haben. Markenpolitik, Markenpflege und Markensteuerung, einschließlich der dafür notwendigen Marktforschung, Produktentwicklung und Supply Chain Management sind mehr als Obliegenheiten des Franchisegebers. Es handelt sich, je nach dem Inhalt der Zusammenarbeit der Systempartner, um ungeschriebene Leistungspflichten, die sich aus dem Zweck des Vertrages und dem Recht des Franchisegebers auf Markenführung ergeben. Die Franchisenehmer verpflichten sich, die Marke zu nutzen, durch Schaffung des einheitlichen Markenerlebnisses aufzuladen, eigene „Phantasiemaßnahmen“ zur Veränderung des Images zu unterlassen. Das heißt, die Franchisenehmer liefern sich „auf Gedeih und Verderb“ der Marke aus – im Gegenzug ist der Franchisegeber in der Pflicht, den Wert der Marke nach besten Kräften zu erhalten und zu mehren. Es gibt bislang relativ wenige Fälle, in denen sich Gerichte mit diesen Fragen beschäftigen konnten. Eine Pflichtverletzung der Systemzentrale bei der Markenführung stand im Rahmen der „Benetton“ Rechtsprechung immerhin  zur Rede. In dem zugrundeliegenden Sachverhalt hatte der Franchisegeber entschieden, Schockwerbung einzusetzen, um die Marke ins Gespräch zu bringen. Dies führte in Deutschland zu Boykottaufrufen, u.a. durch die beiden großen Kirchen. Die wirtschaftlichen Nachteile, die die Franchisenehmer in der ersten Stufe zu erleiden hatten, waren erheblich. Gleichwohl sah der Bundesgerichtshof den Ermessenspielraum des Franchisegebers, dem die Aufgabe der Markenführung zugewiesen war, als noch nicht überschritten an. Dagegen wäre der Ermessenspielraum gewiss überschritten, wenn der Franchisegeber die Marke vollkommen brach liegen lässt und sich nicht mit den Marktveränderungen beschäftigt.