Aktuelles aus der Franchisewelt

Vertriebskartellrecht: neue Vertikal-GVO

Zum 1. Juni 2022 ist die neue europäische Verordnung VO (EU) 2022/720, auch Vertikal-Gruppenfreistellungsverordnung („Vertikal-GVO“) genannt, in Kraft getreten. Diese ist entscheidend für die Beurteilung der kartellrechtlichen Zulässigkeit von Beschränkungen in Vertriebssystemen. Sie regelt Ausnahmen von dem grundsätzlichen Verbot wettbewerbsbeschränkender Vereinbarungen und Verhaltensweisen. Verstöße gegen das Kartellverbot können neben Bußgeldern der Kartellbehörden auch die Gesamtnichtigkeit der zugrunde liegenden Vereinbarungen, d. h. auch von Franchiseverträgen, nach sich ziehen.

Die wichtigsten Neuerungen für das Franchising auf einen Blick:

Franchisesysteme waren bislang unter der alten Verordnung kein Hauptregelungsgegenstand und sind es auch unter der neuen Vertikal-GVO nicht. Dennoch hat die neue Verordnung auch für Fragestellungen im Franchising erhebliche Bedeutung.

Franchisegeber sollten ihre bestehenden Franchiseverträge überprüfen. Es können Anpassungen erforderlich sein!

  • Nunmehr ausdrücklich geregelt: Der Online-Vertrieb sowie die Online-Werbung dürfen durch den Franchisegeber weder untersagt, noch faktisch verhindert werden, dies umfasst die Verhinderung der Nutzung eines oder mehrerer Online-Werbekanäle (z. B. Suchmaschinen oder Preisvergleichsdienste) oder die Gründung oder den Betrieb eines eigenen Online-Shops unter Nutzung der Marke des Franchisesystems. Qualitätsanforderungen an die Gestaltung von Online-Shop bzw. Online-Werbung bleiben zulässig.
  • Wettbewerbsverbote dürfen auch weiterhin nur für maximal fünf Jahre vereinbart werden. Allerdings ist es nun zulässig, dass sich der Franchisevertrag und damit das Wettbewerbsverbot anschließend automatisch verlängert, wenn er nicht von einer der Vertragsparteien gekündigt wird.
  • Im Falle eines Gebietsschutzes kann – wie bisher – der aktive Verkauf in andere Gebiete oder an bestimmte Kundengruppen untersagt werden. Neu kann dieses Verbot ausgeweitet werden auch auf den passiven Verkauf an unautorisierte Händler in selektiven Vertriebsgebieten sowie an Endverbraucher durch Großhändler.

Im Einzelnen:

1. Hintergrund

Art. 101 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) verbietet für den europäischen Binnenmarkt eine Vielzahl wettbewerbsbeschränkender Vereinbarungen. Dieses Verbot gilt jedoch nicht absolut. Ausnahmen sind möglich, wenn diese unter angemessener Beteiligung der Verbraucher an dem entstehenden Gewinn zur Verbesserung der Warenerzeugung oder ‑verteilung oder zur Förderung des technischen oder wirtschaftlichen Fortschritts beitragen, ohne dass den beteiligten Unternehmen Möglichkeiten eröffnet werden, für einen wesentlichen Teil der betreffenden Waren den Wettbewerb auszuschalten.

Die neue Vertikal-GVO hat eine Geltungsdauer bis zum 31. Mai 2034 und wird folglich das Kartellrecht in der kommenden Dekade prägen. Da die Verordnung aufgrund eines langen Abstimmungsprozesses erst kurz vor Ablauf der alten Regelungen verabschiedet wurde, sieht sie zumin-dest eine einjährige Übergangsfrist vor für solche Vereinbarungen, die noch unter der alten Vertikal-GVO wirksam abgeschlossen wurden und nun nicht mehr zulässig wären.

2. Beibehalten der Grundstruktur

Die alte, am 31.05.2022 ausgelaufene Vertikal-GVO konkretisierte bislang, welche Verbote und Ausnahmen es insoweit zu beachten galt. Die neue Verordnung ersetzt die alte Regelung und übernimmt dabei eine Vielzahl der erprobten und in der Praxis funktionierenden Grundprinzipien:

  • So bleibt es bei den bisherigen Marktanteilsschwellen,
  • den sogenannten Kernbeschränkungen, die dazu führen, dass die gesamte Vereinbarung nicht freistellungsfähig ist, wie beispielsweise im Fall der Beschränkung der Preisfreiheit,
  • und weiteren Verboten („Graue Klauseln“), die dazu führen, dass einzelne Klauseln nicht freigestellt sind, die übrige Vereinbarung jedoch schon.

 

Enthält eine Vereinbarung zwischen Parteien, die auf unterschiedlichen Vertriebsstufen tätig sind („vertikal“), somit keine Kernbeschränkungen oder Grauen Klauseln, können die Vertragsparteien davon ausgehen, dass sie durch die Vertikal-GVO kartellrechtskonform ist.

Flankiert wird auch die neue Vertikal-GVO von den sogenannten Leitlinien, die den Unternehmen Orientierungshilfen für die Selbstprüfung von vertikalen Vereinbarungen nach Maßgabe der EU-Wettbewerbsvorschriften an die Hand geben sollen.

3. Modernisierung des Vertriebskartellrechts

Die Modernisierung der Verordnung soll das Vertriebskartellrecht neben zahlreichen kleinen Änderungen und Klarstellungen insbesondere fit machen für die Zukunft. Sie beinhaltet Anpassungen bzw. Neuregelungen u. a. für

  • den Onlinehandel;
  • Plattformverbote;
  • den „Dualen Vertrieb“, d. h. beispielsweise der Vertrieb eines Herstellers/Großhändlers, der Produkte einerseits über Einzelhändler vertreibt, anderseits aber auch selbst Endkunden beliefert;
  • die Einräumung eines Alleinvertriebsrechts;
  • Wettbewerbsverbote.

4. Die wichtigsten Regelungen für Franchiseverträge

Obwohl Franchisesysteme nicht zentraler Regelungsgegenstand der Vertikal-GVO sind, ist das Vertriebskartellrecht durchaus bei der Ausgestaltung von Franchiseverträge zu beachten.

a) Online-Werbung und -Vertrieb

Bislang war der Online-Handel und Online-Vertrieb in der alten Vertikal-GVO nicht ausdrücklich geregelt. Nunmehr sind die hierzu in der Vertikal-GVO vorgesehenen Regelungen die zentralen Neuerungen, die insbesondere auch im Franchising erhebliche Auswirkungen haben.

So heißt es nunmehr in Art. 4 lit. e):

„Die Freistellung nach Artikel 2 gilt nicht für vertikale Vereinbarungen, die unmittelbar oder mittelbar, für sich allein oder in Verbindung mit anderen Umständen unter der Kontrolle der beteiligten Unternehmen Folgendes bezwecken:

e) die Verhinderung der wirksamen Nutzung des Internets zum Verkauf der Vertragswaren oder -dienstleistungen durch den Abnehmer oder seine Kunden, da dies eine Beschrän-kung des Gebiets oder der Kunden, in das bzw. an die die Vertragswaren oder -dienstleistungen verkauft werden dürfen, im Sinne der Buchstaben b, c oder d darstellt, unbescha-det der Möglichkeit, dem Abnehmer Folgendes aufzuerlegen:

i) andere Beschränkungen des Online-Verkaufs oder

ii) Beschränkungen der Online-Werbung, die nicht darauf abzielen, die Nutzung ei-nes ganzen Online-Werbekanals zu verhindern;“

Das bedeutet konkret, dass der Online-Vertrieb sowie die Online-Werbung durch den Franchisegeber weder untersagt, noch faktisch verhindert werden dürfen. Denn eine vertikale Vereinbarung, die eine oder mehrere Beschränkungen von Online-Verkäufen oder Online-Werbung enthält, die es dem Abnehmer de facto verbieten, das Internet für den Verkauf der Vertragswaren oder -dienstleistungen zu nutzen, bezweckt zumindest die Beschränkung des passiven Verkaufs an Endverbraucher, die online kaufen möchten und sich außerhalb des physischen Handelsgebiets des Abnehmers befinden, zu beschränken. Dann handelt es sich um eine Kernbeschränkung, die dazu führt, dass die gesamte Vereinbarung, d. h. der Franchisevertrag, kartellrechtswidrig ist.

Die wirksame Nutzung des Internets wird in bestehenden Franchiseverträgen durchaus in vielfältiger Weise erschwert. Bislang hatten die Franchisegeber oftmals ein nachvollziehbares Interesse daran, die Möglichkeiten des Internets für die Franchisenehmer jedenfalls einzuschränken. So enthalten Franchiseverträge beispielsweise nicht selten Regelungen, die bei der Einräumung der Nutzungsrechte an Marken des Franchisegebers eine Nutzung im Internet ausnehmen, so dass der Franchisenehmer die Marken in einem eigenen Online-Shop nicht verwenden konnte. Um hier sicherzustellen, dass die Verträge zukünftig kartellrechtskonform sind, sollten Franchisegeber ihre bestehenden Franchiseverträge prüfen und insoweit an die neue Regelungen anpassen.

In den Leitlinien (Rn. 208) wird deutlich, dass bestimmte Qualitätskriterien für den Online-Vertrieb (weiterhin) aufgestellt werden dürfen. Beschränkungen von Online-Verkäufen dienen danach in der Regel nicht dem Ziel, die wirksame Nutzung des Internets durch den Abnehmer für den Verkauf der Vertragswaren oder -dienstleistungen an Kunden in bestimmten Gebiete oder an bestimmte Kunden zu verhindern, wenn es dem Abnehmer weiterhin freisteht, einen eigenen Online-Shop zu betreiben und online zu werben. In diesen Fällen wird der Abnehmer nicht daran gehindert, das Internet für den Verkauf der Vertragswaren oder -dienstleistungen wirksam zu nutzen. Die Leitlinien stellen dann Beispiele auf für Anforderungen im Zusammenhang mit Online-Verkäufen aufgeführt, für die die Freistellung nach Artikel 2 Absatz 1 der Verordnung in Anspruch genommen werden kann:

  • Anforderungen, mit denen die Qualität oder ein bestimmtes Erscheinungsbild des Online-Shops des Abnehmers sichergestellt werden soll,
  • Anforderungen hinsichtlich der Darstellung der Vertragswaren oder -dienstleistungen im Online-Shop (beispielsweise die Mindestanzahl der dargestellten Artikel, die Art und Weise, in der die Marken des Anbieters dargestellt werden),
  • ein mittel- oder unmittelbares Verbot der Nutzung von Online-Marktplätzen,
  • eine Anforderung, dass der Abnehmer eine oder mehrere physische Verkaufsstätten oder Ausstellungsräume betreibt, beispielsweise als Voraussetzung dafür, dass er Mitglied des selektiven Vertriebssystems des Anbieters wird,
  • eine Anforderung, dass der Abnehmer die Vertragswaren oder -dienstleistungen in einem nach Wert oder Menge, aber nicht nach dem Anteil seines Gesamtumsatzes bestimmten absoluten Mindestumfang offline verkauft, um einen effizienten Betrieb seiner physischen Verkaufsstätte zu gewährleisten. Diese Anforderung kann für alle Abnehmer identisch sein oder anhand objektiver Kriterien, wie der Größe des Abnehmers im Vergleich zu anderen Abnehmern oder seiner geografischen Lage, unterschiedlich festgelegt werden.
  • Zudem sollen Hersteller für Online- und Offline-Verkäufe unterschiedliche Großhandels-preise festsetzen können, da dies Anreize oder Belohnungen für ein angemessenes Niveau an Investitionen in Online- oder Offline-Absatzkanäle bieten kann. In diesem Zusammen-hang sollen zudem Mengenverkaufsvorgaben für stationäre Geschäfte zulässig sein.

Nach den Leitlinien (Rn. 210) ist auch für Online-Werbung die Aufstellung von Qualitätskriterien zulässig, sofern sie nicht darauf abzielen, die Nutzung eines ganzen Werbekanals durch den Abnehmer zu verhindern. Werbebeschränkungen, die unter die Freistellung fallen können, sind beispielsweise:

  • eine Anforderung, dass Online-Werbung bestimmte Qualitätsstandards erfüllt oder spezielle Inhalte oder Informationen einschließt,
  • eine Anforderung, dass der Abnehmer keine Dienste bestimmter Anbieter von Online-Werbediensten nutzt, die gewisse Qualitätsstandards nicht erfüllen,
  • eine Anforderung, dass der Abnehmer den Markennamen des Anbieters nicht im Domainnamen seines Online-Shops verwendet.

Bestehende Franchiseverträge sollten darauf geprüft werden, ob die neuen Regelungen hinsichtlich Online-Vertrieb und Online-Werbung eingehalten werden. Gerade ältere Verträge untersagen den Franchisenehmern den Internethandel oftmals vollständig bzw. machen ihn faktisch unmöglich. Hier kann es dann Nachbesserungsbedarf geben!

b) Wettbewerbsverbote

Hinsichtlich vertraglicher Wettbewerbsverbote ändert sich im Grundsatz nicht viel. Diese dürfen auch weiterhin nur für maximal fünf Jahre vereinbart werden. Allerdings ist es nun zulässig, dass sich der Franchisevertrag und damit das Wettbewerbsverbot anschließend automatisch verlängert, wenn er nicht von einer der Vertragsparteien gekündigt wird.

Nachvertragliche Wettbewerbsverbote dürfen auch weiterhin für maximal ein Jahr nach Vertragsbeendigung und wenn – was beim Franchising üblicherweise der Fall sein dürfte – es unerlässlich ist, um Know-how, das dem Abnehmer vom Anbieter übertragen wurde, zu schützen;

c) Alleinvertrieb

Im Falle eines im Franchisevertrag vorgesehenen Gebietsschutzes kann – wie bisher – der aktive Verkauf in andere Gebiete oder an bestimmte Kundengruppen untersagt werden.

Neu hinzugefügt wurde, dass dieses Verbot in speziellen Fällen auch auf den passiven Verkauf ausgeweitet werden: nämlich das Verbot an unautorisierte Händler in selektiven Vertriebsgebieten sowie an Endverbraucher durch Großhändler zu liefern.

d) Preisvorgaben

Keine Änderung gibt es beim Thema Preisvorgaben. Dort bleibt es bei dem grundsätzlichen Verbot für den Franchisegeber, den Franchisenehmern Preise vorzugeben. Es verbleiben ebenso die bestehenden Ausnahmen für Preisempfehlungen, Höchstpreisvorgaben und Preisvorgaben für zeitlich begrenzte Sonderaktionen durch den Franchisegeber.

e) Informationsaustausch im Dualen Vertrieb

Viel diskutiert, aber letztlich nicht umgesetzt, wurden angedachte Verschärfungen, namentlich die Einführung zusätzlicher Markanteilsschwellen, für den Informationsaustausch zwischen Herstellern und Absatzmittlern im Falle des Dualen Vertriebs (d. h. wenn der Franchisegeber sowohl im Direkt- als auch Absatzmittlervertrieb tätig ist). Die angedachten Neuregelung hätten weitreichende Folgen für Franchisesysteme bedeuten können, da die meisten neben den Franchisebetrieben auch eigene Filialen betreiben.

Art. 2 Abs. 5 Vertikal-GVO sieht aber nun vor, dass ein Austausch auch im Rahmen des Dualen Vertriebs freigestellt ist, wenn er zur Verbesserung der Produktion oder des Vertriebs der Vertrags-waren oder -dienstleistungen erforderlich ist. Die Leitlinien erkennen dabei an, dass es im Rahmen einer Franchisevereinbarung erforderlich sein kann, dass Franchisegeber und Franchisenehmer Informationen über die Anwendung eines einheitlichen Geschäftsmodells im Franchisenetz austauschen (Rn. 98).