Franchiserecht

Warum sollte man Franchisenehmer im Regelfall nur zu 80% an den Wareneinkauf binden?

In dem Kapitel Maßnahmen zur Sicherung der Einkaufsvorteile für den Franchisegeber wurde bereits behandelt, dass 100%ige Warenbezugsbindungen in Kombination mit anderen Wettbewerbsbeschränkungen (z. B. in Kombination mit der Nichtweiterleitung von Einkaufsvorteilen) eine „unbillige Behinderung“ gemäß §§ 19, 20 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) darstellen können. Obwohl der Bundesgerichtshof (BGH) immerhin das Vorliegen einer „unbilligen Behinderung“ in seinem Beschluss vom 11. Oktober 2008 verneint hat, heißt das nicht, dass 100%ige Warenbezugsbindungen unbedenklich sind. Ganz im Gegenteil: Mit einer 100%igen Bezugsbindung würde jeder Franchisegeber die Möglichkeit aufs Spiel setzen, in den Genuss der Gruppenfreistellung von dem Kartellverbot zu kommen.

I. Was bedeutet eigentlich „Kartellverbot“ und „Gruppenfreistellung“?

Franchisesysteme sind Kartelle. Das ist offenkundig: Beim Franchising vereinbaren selbstständige Unternehmen, wie sie den Markt bearbeiten wollen.

Kartelle sind grundsätzlich verboten. Das ergibt sich aus Bestimmungen des EG-Vertrages und des deutschen Kartellgesetzes (GWB). Das Verbot gilt allerdings nur, wenn die Vereinbarung zwischen zwei Unternehmen geeignet ist, den Wettbewerb in dem relevanten Markt spürbar zu beeinträchtigen. Durch das Kriterium der „Spürbarkeit“ fallen kleine Systeme, die kleine Marktanteile haben, von vornherein nicht unter das Kartellverbot. Allerdings gibt es auch für solche Systeme Kernbeschränkungen, die nicht zulässig sind.

Abgesehen davon besteht bei jedem Franchisegeber natürlich immer die Erwartung, dass das System Marktanteile dazu gewinnt, so dass es jedenfalls eines Tages eine „spürbare“ Wirkung entfalten wird. Deshalb sollten die Franchiseverträge von vornherein so gestaltet wurden, dass keine Verletzung der kartellrechtlichen Bestimmungen möglich ist.

Von dem Kartellverbot gibt es zahlreiche Ausnahmen. Unter anderem besteht für Systeme die Möglichkeit, eine Freistellung von dem Kartellverbot zu erhalten, wenn die Regeln der „Gruppenfreistellungverordnung für vertikale Vereinbarungen und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen“ (Vertikal-GVO) beachtet werden. Darin hat die EU-Kommission – stark vereinfacht ausgedrückt – festgelegt, wie Franchiseverträge gestaltet werden müssen, um dem Franchisegeber das Privileg der Gruppenfreistellung zu verschaffen. Mit anderen Worten: Wenn Sie die Vertikal-GVO beachten, haben Sie „garantiert“ keine Probleme mit dem Kartellrecht. Deshalb ist die Gruppenfreistellung ein Privileg, das durch falsche Gestaltungen oder Handhabung nicht aufs Spiel gesetzt werden sollte.

Wenn ein Franchisesystem als Gruppe von Verträgen unter das Kartellverbot fällt, weil das Kriterium der Spürbarkeit erfüllt ist und keine andere Ausnahme von dem Kartellverbot denkbar ist, ist es dringend ratsam, die Regelungen der Vertikal-GVO einzuhalten. In dieser Hinsicht ist festzustellen, dass eine Bezugsbindung von mehr als 80% als „Wettbewerbsverbot“ anzusehen ist, das die Gruppenfreistellung gefährdet. Es handelt sich dabei zwar nur um ein „bedingtes Verbot“ – und nicht um eine Kernbeschränkung. Daraus ergibt sich gleichwohl ein erhebliches Risiko: Eine Klausel, die ein bedingtes Verbot enthält, ist unwirksam. Die Bezugsbindung gilt dann nicht, mit der Folge, dass die Franchisenehmer gar nicht mehr an den Warenbezug gebunden wären. Die Wirksamkeit oder Unwirksamkeit des restlichen Vertrages richtet sich zwar nach § 139 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB); es wäre jedoch nicht vollkommen ausgeschlossen, dass die Gesamtunwirksamkeit des Franchisevertrages die Folge ist. Darüber hinaus kann die Vereinbarung eines bedingten Verbots – jedenfalls wenn es noch andere kartellrechtlich bedenkliche Praktiken in dem System gibt – zu Schwierigkeiten mit dem Bundeskartellamt führen.

II. Ergibt sich aus dem Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 11. Oktober 2008 nicht, dass doch eine 100%ige Bezugsbindung vereinbart werden darf?

Nein. Der Beschluss verhält sich zunächst nur zu der Frage, ob eine unbillige Behinderung im Sinne von § 19 Abs. 2 Fall 1 GWB vorliegt, wenn der Franchisegeber einerseits eine Alleinbezugsbindung vereinbart und andererseits Einkaufsvorteile, die von Lieferanten gewährt werden, nicht vollständig an die Franchisepartner weitergibt. In kartellrechtlicher Hinsicht ergibt sich im Bezug auf die Bezugsbindung aus dem „Praktiker-Beschluss“ lediglich der Maßstab für die Behandlung im Rahmen des Diskriminierungsverbots der §§ 19, 20 GWB. Es ist im Übrigen auch klar, dass der BGH als nationales Gericht durch einen Beschluss nicht die Regelungen des Europäischen Kartellrechts ändern kann. Das könnte nur die EU-Kommission.

Wenn Sie an eine 100%ige Bezugsbindung denken, ist dringend zu empfehlen, Gespräche mit den zuständigen Sachbearbeitern des Bundeskartellamts zu führen. Sehr viel ratsamer – dringend ratsam – ist es, von einer 100%igen Bezugsbindung abzusehen. In dieser Hinsicht sind verschiedene Ausgestaltungen möglich (beispielsweise Bezug des Ergänzungssortiments bei gelisteten Lieferanten etc.), die die Auswirkungen einer Einschränkung der Bezugsbindung abfedern können. Das ist auch die Herangehensweise der meisten Franchisegeber.